„Freudenberg ist ein starkes, gesundes Unternehmen“

Zweieinhalb Jahre Coronapandemie mit Produktionsbeschränkungen, gefolgt von Unterbrechungen der Lieferketten, jetzt der Krieg in der Ukraine: Wie geht Freudenberg damit um? „Wir halten auch in der Krise Kurs“, sagt Dr. Mohsen Sohi, CEO, im Gespräch.

Die Zeiten sind herausfordernd. Wie schätzen Sie die weltwirtschaftliche Lage ein?
Die Pandemie schadet der Wirtschaft länger als erwartet. Ihre Entwicklung bleibt unvorhersehbar, das zeigen die vergangenen Monate in China. Seit Beginn des Jahres beschäftigen uns erhebliche Rohstoffengpässe, Lieferschwierigkeiten und außergewöhnliche Nachfrageschwankungen auf Kundenseite. Energie- und Rohstoffpreise sind stärker gestiegen als gedacht. Der Krieg in der Ukraine hat diese Situation noch einmal verschärft. Krieg und Sanktionen stören die weltweiten Lieferketten – mit massiven geopolitischen Auswirkungen und negativen Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Die wirtschaftlich größte Herausforderung ist aktuell die Inflation. Seit Beginn des Jahres 2021 mussten wir bei Freudenberg mehr als eine halbe Milliarde Euro durch die Verteuerung von Energie- und Rohstoffkosten aufbringen. Die Inflationsraten steigen, gleichzeitig stockt die Konjunktur. Einige Volkswirtschaften nähern sich einer Stagflation, einer Kombination steigender Preise und wirtschaftlicher Flaute. Hinzu kommt der gravierende Mangel an Fachkräften. Freudenberg verzeichnet aktuell über 3.000 offene Stellen.

Wie entwickelt sich Freudenberg in diesem schwierigen Umfeld?
Trotz all dieser Herausforderungen haben wir uns bislang gut behauptet. Freudenberg ist ein starkes und gesundes Unternehmen, aber die steigenden Beschaffungskosten belasten das Ergebnis. Die Unsicherheiten sind groß und durch den Krieg in der Ukraine noch größer geworden. Angesichts dessen gehen wir für das gesamte Jahr 2022 nur von einer verhaltenen Geschäftsentwicklung aus.

Ausschlaggebend sind unsere technologische Expertise und Innovationskraft. Mehr als 32 Prozent unserer Produkte sind jünger als vier Jahre.

Worauf führen Sie diese Stabilität des Unternehmens zurück?

Dank unserer Erfolge in den vergangenen Geschäftsjahren können wir weiter auf hohem Niveau in Forschung, Entwicklung und neue Technologien investieren. Dies bildet die Grundlage für unseren langfristigen Erfolg; ausschlaggebend sind unsere technologische Expertise und Innovationskraft. Mehr als 32 Prozent unserer Produkte sind jünger als vier Jahre. Außerdem reduzieren unsere breite Diversifikation und globale Aufstellung die Abhängigkeit von einzelnen Branchen, Rohstoffen, Technologien und Regionen.

Langfristiges Denken und Handeln gelten als Markenzeichen von Freudenberg. Gilt dies auch in Krisenzeiten, in denen Agilität gefragt ist? 

Das eine schließt das andere nicht aus. Freudenberg agiert langfristig und ist gleichzeitig im operativen Geschäft flexibel. Wir halten auch in Krisenzeiten Kurs. Wir investieren weiterhin massiv in die Mobilität der Zukunft, in Batterie-, Wasserstoff-, Brennstoffzellentechnologie sowie Hightech-Komponenten für Elektrofahrzeuge. Weitere langfristige strategische Schwerpunktthemen bleiben Digitalisierung und Automatisierung sowie Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Bei der Digitalisierung konzentrieren wir uns auf Leistungen, die die interne Effizienz steigern oder den Kunden Mehrwert bringen. Um unsere Nachhaltigkeitsfortschritte in Zukunft genau und belegbar messen zu können, führen wir ein gruppenweites Nachhaltigkeits-Reporting-System ein. So können unsere Aktivitäten von unabhängigen Instituten nachgeprüft und auditiert werden. 

Wir haben erfahren, wie wichtig es ist, in allen Weltregionen über kompetente Mitarbeitende zu verfügen.

Die Covid-19-Pandemie hat die Digitalisierung, insbesondere bei Kooperation und Kommunikation, beschleunigt, auch bei Freudenberg. Welche Lehren hat Freudenberg grundsätzlich aus der Pandemie gezogen?

Die Pandemie hat gezeigt, dass wir unsere globale Aufstellung noch verbessern müssen. Wir haben erfahren, wie wichtig es ist, in allen Weltregionen über kompetente Mitarbeitende zu verfügen. Sie können dezentral an Ort und Stelle qualifizierte Entscheidungen treffen, angepasst an die jeweiligen regionalen und lokalen Umstände. Wir wollen daher noch mehr lokale Fach- und Führungskompetenz aufbauen. Wir brauchen herausragendes Know-how und Expertinnen- und Expertenwissen in allen Regionen. Unser grundsätzliches Ziel lautet, die Anteile unserer Geschäfte in den einzelnen Weltregionen stärker auszubalancieren: mit gleich großen Umsatzbeiträgen aus Europa, Amerika und Asien. Dies hilft uns gleichzeitig, unsere Lieferketten zu verkürzen. Je länger diese sind, desto schwieriger sind sie zu steuern. Wir wollen gezielt für den jeweiligen Markt und die Kunden vor Ort produzieren.

Angesichts des Kriegs in der Ukraine. Wie verhält sich Freudenberg künftig in Russland?
Als Folge des Kriegs haben wir entschieden, uns aus dem russischen Markt zurückzuziehen. Unsere dortigen Geschäftsaktivitäten werden wir in einem geordneten Prozess und in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen beenden.

Wie gestaltet Freudenberg künftig die Geschäfte in China?
Unsere Aktivitäten in China unterziehen wir aktuell einer Neubewertung. Inmitten einer Phase starker globaler Umbrüche in der Wirtschaft beobachten wir einen Wettbewerb zwischen den USA, China und Europa. Es stellt sich die Frage: Ist China Partner, Gegner oder Konkurrent? Ist die künftige Zusammenarbeit eher kooperativ oder konfrontativ? Mit dem Projekt „Dragonfly“ evaluieren wir aktuell die Entwicklungen in China und wie sich diese auf unsere Aktivitäten dort auswirken. Eines ist bereits sicher: Das Geschäftsumfeld für westliche Unternehmen in China wird in den kommenden Jahren nicht einfacher werden.