Im Gespräch mit... Ali Abo Nasser

Ali Abo Nasser kam als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland. Bei Freudenberg machte er zunächst ein Praktikum und absolvierte dann eine duale Ausbildung. Heute arbeitet er als Service Desk Techniker im Unternehmen.

Es gibt diese Augenblicke, an die man sich für immer erinnert, weil sie das eigene Leben unwiderruflich in zwei Teile trennen. Momente, die aus der einen Hälfte ein „Davor“ und aus der anderen ein „Danach“ machen. Ali Abo Nasser, Service Desk Techniker bei Freudenberg, kann von solch einem schicksalhaften Moment erzählen. Er trägt sich am 28. Juli 2015 zu, einem Dienstag, um sechs Uhr morgens. Die Sonne geht gerade auf.

Ein weißer, klappriger Kleinbus hält vor einem Torbogen gegenüber der Universität von Damaskus. Abo Nasser hat Tränen in den Augen. Er setzt die Tasche ab, die ihm seine Mutter einen Tag zuvor gepackt hat. Dann umarmt er zum letzten Mal seine Eltern und steigt in den Bus eines Schleppers. Das Ziel: über die Grenze, fort aus Syrien, fort aus seinem alten Leben.

Von Rakka bis Weinheim

Seit vier Jahren versteckt sich der 26-Jährige vor dem Einzug in die Kampftruppen des vom Krieg erschütterten Landes. Beide Seiten – syrische Armee und Rebellen – erheben Anspruch auf junge Männer wie ihn. Auch seine in der Heckscheibe schrumpfenden Eltern, die von Militärs immer wieder wegen ihm drangsaliert werden, möchte der junge Mann schützen. Er wird es schaffen. Aber vor ihm liegt eine monatelange, entbehrungsreiche und gefährliche Flucht.

Der Weg führt ihn, drei seiner Schwestern sowie Nichte und Neffe zunächst nach Aleppo, von wo ihr Schlepper sich aus dem Staub macht. Durch einen gefährlichen Umweg über die ISIS-Hochburg Rakka gelangt die Gruppe doch noch in die Türkei. Von dort geht es weiter nach Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich bis nach Deutschland, genauer in eine Flüchtlingsunterkunft im Dörfchen Affolterbach nahe Weinheim. Als Flüchtling musste er sich vor Grenzpolizisten verstecken, ist mit einem Schlauchboot in Seenot geraten und hat viele Nächte am Straßenrand geschlafen – nun kann er sich endlich wieder sicher fühlen.

 

 

Vom Krieg zerstörte Straßenzüge in Syrien.

 

 

 

Foto: Adobe Stock

 

 

Über 3.500 Kilometer liegen zwischen Damaskus und Weinheim.
 

 

 

 

Foto: Adobe Stock

 

 

Abo Nasser in einem türkischen Flüchtlingslager mit Nichte und Neffe.

 

 

 

 

Foto: privat

 

 

Neue Perspektive: Das Freudenberg-Schild über dem Headquarter.

 

 

 

 

Foto: Marco Schilling

Freudenberger als „Pate“

Rund sieben Jahre ist das nun her. Der junge Mann sitzt in einem ägyptischen Imbiss in der Nähe des Industrieparks Weinheim. Er lobt den Falafel vor ihm auf seinem Teller. Das Gericht erinnert ihn an Sabinah, den Vorort von Damaskus, wo er aufgewachsen ist. Seine Heimat? „Heimat ist dort, wo man sich zuhause fühlt. Ich bin jetzt hier zuhause“, sagt er, lächelt und macht mit dem Zeigefinger eine Kreisbewegung in Richtung Decke. Seit April 2022 haben er, seine Frau und sein kleiner Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit. Die gemeinsame Wohnung der Familie liegt nur wenige Kilometer entfernt.

Nasser ist ein positiver Mensch. Er spricht von den Dingen, die er im Leben gelernt hat, den Helfern, die er hatte und davon, dass er etwas zurückgeben möchte. Viele seiner Helfer sind Mitarbeitende von Freudenberg. Da ist zum Beispiel Martin Monnheimer, Vice President Sales Controlling bei Freudenberg Sealing Technologies (FST). „Mein ehrenamtlicher Pate“, erklärt Abo Nasser. In der ersten Zeit in Affolterbach hilft er ihm, sich einzurichten und zu orientieren. Mit seiner Unterstützung lernt er Deutsch, arbeitet an der Supermarkt-Kasse, macht von dem verdienten Geld seinen Führerschein.

Träumen erlaubt

Durch das Fenster des Imbisses sieht man das große Freudenberg-Schild über dem Headquarter des Technologiekonzerns. Es erinnert ihn an einen weiteren wichtigen Moment in seinem Leben. Den Moment, als er sich wieder erlaubte, einen Traum zu haben. „Über ein Jahr lang stand ich hier jeden Morgen am Bahnhof, um zu meinem Deutschkurs an der Universität Darmstadt zu fahren, und habe mir das Schild angeschaut“, sagt er. „Irgendwann möchte ich auch dort arbeiten, habe ich gedacht.“ Der Traum ging in Erfüllung.

Es geht immer weiter – auch dank der vielen Freunde und Unterstützer, die ich hier gefunden habe, ob im Ausbildungszentrum, im Kollegenkreis oder im Management

Ali Abo Nasser

Bei Freudenberg angekommen

Denn seine Bewerbung um ein Praktikum ist erfolgreich. Er startet bei Freudenberg und besucht weiter Deutschkurse bis zur Stufe C1. Im Anschluss bietet ihm das Unternehmen einen Vertrag für eine duale IT-Ausbildung. „Das war am 1. Dezember 2017, meinem Geburtstag“, so Abo Nasser, der schon in Syrien vor dem Krieg Computer Science studiert hat. „Das beste Geschenk, das ich mir vorstellen konnte.“

Seit seinem erfolgreichen Ausbildungsabschluss vor drei Jahren arbeitet der Familienvater nun als Service Desk Techniker bei Freudenberg. Seine Eltern durfte er leider nicht mehr in den Arm nehmen. Beide verstarben an Covid-19 im Jahr 2021. „Sie haben aber alles miterlebt. Wir waren täglich virtuell in Kontakt und sie waren sehr stolz auf alles, was ich geschafft habe“, sagt er. „Es geht immer weiter – auch dank der vielen Freunde und Unterstützer, die ich hier gefunden habe, ob im Ausbildungszentrum, im Kollegenkreis oder im Management“, sagt er. „Es tut gut, einen Arbeitgeber gefunden zu haben, der Verantwortung für die Gesellschaft übernimmt und Vielfalt wertschätzt.“